29
Mrz
2006

Unterwegs -

(Bahnskizzen)

Schwarze Jacke, schwarz und lila gemusterter Rock, geschminkte Lippen, hochhackige Stiefel, Brille – das wird schnell ein Auftritt.
Ich hab Dir so viel zu erzählen, sagt sie.
Dann rede doch, gibt er zurück.
Es ist nichts, was andere für wichtig nehmen, aber immer mehr scheint mir, dass nur das Öffnen und Aufmachen, das Zusehen, und Hinschauen, das Hinhören die Sache wert macht.
Wenn Du meinst, sagt er.
Ja, meine ich.

Sie hat ein blaues Auge. Du hast es ganz beiläufig gesehn. Als sie einstieg in den Zug.
Nein, gefragt hat er nicht. Was hätte sie antworten sollen? Dass er sie wieder geschlagen hat? Dass das blutunterlaufene Auge nur die Folge eines Insektenstichs war?
Oder wie die Ausflüchte sonst heißen?

„Das WC“, lese ich, „ist unseren Gästen vorbehalten.“ Sonstige Nutzung koste 50 Cent.
Das Örtchen ist verlebt, fast verkommen – immerhin wirbt der Condomautomat mit grellen, Packungen – „jetzt mehr Inhalt“. Aber ein Handtuch fehlt.

Sie unterhielten sich im leicht bellenden Hiphop-Ton. Einer hatte die Haare aufgegelt, der andere war halb verkrochen in seiner schwazen Mütze. Es murmelte im Zug, draußen war nicht nur eine Mauer mit Graffities überzogen. Und der Mann knallte wütend seine Jacke ins hölzerne Gepäcknetz.

Man kann es auch ohne lange Umweg sagen: Sie packt ihre Sachen. Wütend, traurig, frustriert. Einwände? Es könnte helfen, in Ruhe nachzudenken? Zu analysieren, zu sortieren, oder was? Nein, keine Diagnosen. Nur das unbestimmte Gefühl, dass Wünsche sich allzu sehr unterscheiden.
Das klappt nie, dachte sie.
Noch so ein Satz: Sie hat sich verstohlen ihre Tränen abgewischt.
Da war Wut – noch nie hatte es das vorher gegeben.
Und er? Endlich ankommen wollend, hatte er Zweifel beiseite geschoben, die sich leise gemeldet hatten. Argumentieren fiel ihm leicht, auch gegen sich.
Aber was hilft das. Und wem.

Stolz? Ja, Ein bisschen. Weil es ihm leichtfiel, ihre Sprache zu verwenden. Weil er sich einfach fallenließ ins Englische mit dem amerikanischen Zügen. „Just you and me“.
Und draußen zogen die Bäume, in leichten Wellenlinien angepflanzt, vorbei.. Nachdem der Zug, mit Anstrengung, aus dem Tal gestiegen war.

Noch ein Auftritt: Stiefel, Jeans, weiße Lederjacke. Das Weiß ihrer Tasche hat sich grau gefärbt, das Rot behauptet sich mühsam, sie ist prallvoll gepackt. „Den kenn ich schon“, sagt sie, „der ist ein bisschen eigenartig.“ Und die andere: „Er schaut Dich ganz lange an, neulich hab’ ich neben ihm gesessen.“ „Wenn der einen anguckt, weißt Du alles über ihn“, ist die Antwort.
Zwei Kleine sitzen schon ohne Jacken in ihrem Kinderwagen, draußen sind sie wie im Sommer unterwegs. Ein Mann steigt ein: Kurze Haare, die dickbauchige kleine Isokanne leergetrunken, setzt er sich dazu, er schweigt..

Und draußen küssen sich zwei: Sie steht zwei Stufen höher auf einer Treppe, hat sich den schönen, blauen Schal vor ihren Halz gelegt. Andere nehmen schneller Abschied und steigen in den Zug. Schnell weg, nicht umdrehn.

Sie hatte ein Lächeln auf dem Gesicht.
Er konnte gar nichts dagegen tun, dass ihm das gefiel..
Roter Mantel, schwarze Hose und Schal, Rucksack und Beutel. Sie würde zu ihm fahren und ihm sagen, dass sie mit ihm leben will. Ach ja: Um das mit den Farben voll zu machen: Als sie eingestiegen war, packte sie ein rotes Buch aus.
- Nein, ich habe nicht gelächelt, wie kommst Du darauf.
- Ich habe Augen im Kopf. So was: Lächelt und weiß es nicht.
Ja, rote Turnschuhe hat sie angehabt. Wie konnte ich das vergessen: Und auch das Haar war rot. Die Augen lebendig, nicht, dass sie funkelten, aber fast. Ich habe einen beruflichen Vorwand gesucht, mit ihr zu reden. Dann ging sie, das Gespräch war kurz. Eh ich es vergesse: Ihren Platz nahm eine Lehrerin ein, mit einem Haufen wilder Kinder. Das Leben war ihr ins Gesicht geschrieben – mit wüsten, wilden Spuren.
Foto: fbt

Summer in Chicago

Eine Geschichte, Notizen, Bilder & mehr

..

Über dieses Weblog

Summer in Chicago versammelt Notizen, Bilder, kurze Texte, hier und da auch mal ein Gedicht.

What time is it?

Chicago

Die Nachrichten bei der Tagesschau, der New York Times

Status

Online seit 7231 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 28. Feb, 08:23

Credits


Alltagsrassismus
Bürokratie
comments to other blogs
Das Wetter
dies und das
Du und ich oder was
In 30 Tagen um die Welt
Iran
Islam
Literatur u.ae.
Mannomann
Medienwelten
Musik
Nachrichten aus dem Dornröschenschloss
Nachtmusik
nicht schnurz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren